Jüdisches Leben in Rastatt

Mittelalter bis frühe Neuzeit

Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit gibt es nur vereinzelt Nachrichten von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in Rastatt. Einer von ihnen ist der Hofjude und Judenschultheiß Mathias Schweitzer. An ihn erinnert eine auf das Jahr 1703 datierte Gedenktafel im Innenhof des Stadtmuseums.

Gedenktafel im Stadtmuseum
An den Judenschultheiß Mathias Schweitzer erinnert eine Gedenktafel im Stadtmuseum.

18. Jahrhundert

Immer wieder von Verfolgungen und Ausweisungen betroffen leben zur Wende zum 18. Jahrhundert weniger als zehn jüdische Familien in Rastatt. Doch nach den verheerenden Kriegen im 17. Jahrhundert dürfen sich jüdische Familien in der entvölkerten Markgrafschaft niederlassen. Auch um dem Landesherren Steuern einzubringen. So muss die kleine jüdische Gemeinde im 18. Jahrhundert auf Initiative der Markgräfin Sibylla Augusta die Straßenpflasterung der jungen Residenzstadt Rastatt finanzieren.

Altes Bild des Wohnhauses von Mathias Schweitzer

1827

Zwischen 1827 und 1829 wird die erste Synagoge in der heutigen Ottersdorfer Straße errichtet. Zu dieser Zeit leben über 60 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner in Rastatt.

1877

1877 wurde mit Josef Altschul erstmals ein jüdischer Bürger in den Bürgerausschuss der Stadt gewählt. Bis 1933 sind Juden weiterhin als Bürgerausschussmitglieder oder Mitglieder verschiedener örtlicher Vereine tätig. Daneben gründen sich zahlreiche jüdische Vereine unterschiedlicher Ausrichtung. Unter anderem der Israelitische Kranken- und Unterstützungsverein, der Jüdische Jugendbund und ein jüdischer Kegelverein.

Altes Foto mit Gruppe von Personen. Jüdischer Kegelverein.
In Rastatt gründen sich immer mehr jüdische Vereine. Darunter auch ein jüdischer Kegelverein.

1881

1881 wird in der Nähe des Rastatter Bahnhofs ein jüdischer Friedhof angelegt. Die vermutlich letzte Beisetzung war im August 1939. Noch heute existiert der jüdische Friedhof.

Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof
Noch heute existiert in Rastatt der jüdische Friedhof. Die letzte Beisetzung fand 1939 statt.

1890

Die Zahl der jüdischen Neubürger wächst nach der Aufgabe der Rastatter Festung 1890 auf rund 250.

Arthur Wertheimer gibt Christian Zwiebelhofer die Hand
Anfang des 20. Jahrhunderts hielten der Jude Arthur Wertheimer und sein christlicher Freund Christian Zwiebelhofer ihre Freundschaft auf einem gemeinsamen Foto fest. Aufgenommen wurde das Bild im Atelier Wilhelm Amann

1906

Die Synagoge in der Ottersdorfer Straße wird mit der Zeit baufällig und für die gewachsene Anzahl jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner zu klein. Daher wird 1906 eine neue Synagoge beim Ottersdorfer Tor erreichtet. Die Stadt unterstützt den Bau, indem sie das Grundstück stiftet.

Altes Foto der Synagoge
Die Grundsteinlegung für die neue Synagoge erfolgte am 14. September 1905. Architekt war der renommierte Karlsruher Ludwig Levy, der zuvor schon die Synagogen in Baden-Baden, Kaiserslautern und Straßburg gebaut hatte.

1920

Jüdische Bürgerinnen und Bürgern prägen das Stadtbild Rastatts immer mehr. Sie gründen Unternehmen wie die Kartonagenfabrik Dreyfuss & Roos, die Badische Polierscheiben- und Putzwollenfabrik Groener & Bloch und in den frühen 1920er Jahren die Krepp- und Buntpapierfabrik Werola, die der Stadt Einnahmen bringt und Arbeitsplätze schafft.
Um 1900 gibt es ebenfalls eine ansehnliche Anzahl jüdischer Händler und Handwerker. Zudem zählen einige jüdische Familien zur Bildungsbürgerschicht, darunter Rechtsanwälte und Ärzte, deren Kinder das Ludwig-Wilhelm-Gymnasium besuchen.

Briefkopf der Firma Dreyfuss & Roos Cartonnagen-Fabrik
Briefkopf der Firma Dreyfuss & Roos Cartonnagen-Fabrik in Muggensturm und Rastatt. Der Rastatter Unternehmer Julius Roos wurde wie viele andere jüdische Geschäftsleute in der NS-Zeit enteignet.

1920

Das Zusammenleben der jüdischen und christlichen Gemeinde funktionierte bis Ende der 1920er Jahre gut. Auch wenn es aufgrund der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der wirtschaftlich angespannten Situation in der Weimarer Republik zu ersten Misstönen kommt.

1933

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 verschlechtert sich die Situation der jüdischen Gemeinde rapide. Durch antijüdische Maßnahmen wie den Judenboykott im April 1933 und den Erlass antijüdischer Gesetze werden Jüdinnen und Juden immer stärker aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben verdrängt.
Viele jüdische Familien sehen sich in der Folge dazu getrieben zu emigrieren. Wobei diese Möglichkeit nicht allen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern offen stand. Zurück bleiben vor allem die Alten und jene, die vermutlich aus familiären Gründen die Stadt nicht verlassen konnten.

SA-Angehörige stehen vor einem Auto vor der Praxis des Arztes Alfred Grünebaum
SA-Angehörige rufen vor der Praxis des Arztes Alfred Grünebaum (Josefstraße 6, damals Murgtalstraße) zum Boykott auf.

1938

Im Laufe des 10. November 1938 wird die Rastatter Synagoge während der Novemberpogrome vollständig zerstört.

Altes Bild auf dem der Synagogen-Turm brennt
Brand der Synagoge am 10. November 1938. Die Synagoge wurde am Nachmittag von SS- und SA-Männern in Zivil zunächst verwüstet, dann in Brand gesteckt.

1940

Am 22. Oktober 1940 werden im Rahmen der Deportation der südwestdeutschen Jüdinnen und Juden ins französische Gurs auch die 30 noch in Rastatt lebenden Juden abgeholt. Nur drei von ihnen überleben den Holocaust. Dies ist das Ende der jüdischen Gemeinde in Rastatt.

Holzstich
Der Rastatter Zeitzeuge Dieter Klumpp hielt Jahrzehnte später seine Erinnerungen an die Vorkommnisse vom 22.10.1940 auf einem Holzstich fest.

Heute: Denkmäler in Rastatt

Ausstellungsraum des Stadtmuseums mit Bildern im Raum
Das Kantorenhaus, in dem der Kantor der jüdischen Gemeinde lebte, überstand die Zerstörungen der Reichspogromnacht weitgehend unbeschadet und beherbergt heute einen Dokumentationsraum zur jüdischen Geschichte Rastatts

Als sichtbare Denkmäler für das jüdische Gemeindeleben in Rastatt sind insbesondere das Kantorenhaus und der jüdische Friedhof erhalten.
Weiterhin erinnern im Rastatter Stadtgebiet mehrere Gedenkorte an die Verbrechen des Nationalsozialismus sowie an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Eine Tafel am Kantorenhaus weist auf die zerstörte Synagoge hin. Ein Gedenkstein vor dem Bahnhof sowie ein Mahnmal in der Nähe der ehemaligen Synagoge gedenken der Deportation der Rastatter Juden nach Gurs. Zudem ist Rastatt Mitglied der Arbeitsgemeinschaft zur Pflege des Deportiertenfriedhofs in Gurs.
Seit 2013 werden auch in Rastatt sogenannte „Stolpersteine“ in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt.

Straßenschild mit "Gurs 1127 km" und einem Gedenkstein und Blumen vorn einem Stein
Anlässlich des 60. Jahrestags der Deportation der jüdischen Bürger nach Gurs wurde im Jahr 2000 beim Rastatter Bahnhof ein Gedenkstein aufgestellt.